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Open-Source-Mediaplayer: "Die Deutschen werden VLC wohl zerstören" - Golem.de - Golem.de

Der VideoLAN-Gründer Jean-Baptiste Kempf spricht im Golem.de Interview über Softwarepatente und die Idee, einen Verkehrskegel als Symbol zu verwenden.

Ein Interview von Martin Wolf
Jean-Baptiste Kempf ist einer der Gründer von VideoLAN.
Jean-Baptiste Kempf ist einer der Gründer von VideoLAN. (Bild: Martin Wolf/Golem.de)

Ob mp4-Video, mp3-Audio, .flac, .mov, .wav, .mpeg oder eines der vielen anderen Formate in unserer ständig wachsenden IT-Welt: Der freie Media-Player VLC spielt sie meist ab. Es lässt sich auch als Netzwerk-Streamingsoftware für das Übertragen von Podcasts, Musik, Filmen und auch Bildern nutzen. Jean-Baptiste Kempf begleitet die Entwicklung von VLC seit Jahrzehnten und hat die Software von einem Uni-Projekt zu einem wichtigen Akteur der Open-Source-Community gemacht. Wir haben ihn zur Geschichte und zu Zukunftsplänen befragt und uns erklären lassen, wieso Softwarepatente eine Gefahr für VLC darstellen. Das auf Englisch geführte Interview ist in ganzer Länge im Video zu sehen.

Golem.de: Wie fing es an mit VLC?

Jean-Baptiste Kempf: Die Leute wollen gern einen tollen Start von VLC hören, dass es eine große Vision gab und so weiter - aber das gab es nicht. VLC ist eine Weiterentwicklung - ein Teil eines größeren Projektes namens VideoLAN, das wiederum eine Weiterentwicklung eines Projektes ist, das eine Weiterentwicklung eines Projektes ist. Niemand hatte plötzlich diese tolle Idee. Es passierte einfach und die Leute gingen mit.

Am Anfang war es ein studentisches Projekt. Die Studentenverbindung der École Centrale Paris (ECP), brauchte etwas, um ein neues Netzwerk zu rechtfertigen. Das alte Netzwerk basierte auf Token Ring und war aus den 1980er Jahren. Ein Alumnus der Universität, der bei IBM arbeitete, hatte es installiert - und es hatte 10 MBit/s Datendurchsatz, was damals total in Ordnung war.

Aber um 1993 kamen Computerspiele auf und dafür reichte es nicht mehr. Also versuchten die Studenten, die Anschaffung eines neuen Netzwerkes zu rechtfertigen. Der Grund war dann Satellitenfernsehen - statt 2.000 Satellitenschüsseln und Receiver für die Studentenwohnheime anzuschaffen, schlugen sie vor, lediglich eine zu installieren und das Signal per Netzwerk zu verbreiten. 1996 hatten sie dann ihr neues Netzwerk mit 100 MBit/s und sie hätten es dabei belassen können. Aber zwei Studenten beschlossen, das Satelliten-Streaming-Konzept für die gesamte Universität umzusetzen. Natürlich nannten sie es "Video im lokalen Netzwerk", was dann "VideoLAN" wurde. Es war nicht Open Source und lief nur auf Linux - es war nicht das, was wir heute kennen.

Im Jahr 2001 schafften sie es dann, den Code offen zu machen. Die Universität hatte zunächst den Anspruch, dass die Arbeit der Studenten ihr gehöre. Zu dieser Zeit war das Open-Source-Prinzip ja auch noch nicht wirklich bekannt. Aber sie überzeugten die Universität und innerhalb von sechs Monaten wurde der Client - der ja nur einen kleinen Teil des Projektes darstellte - von einem niederländischen Studenten auf MacOS portiert. Dort war es zu dieser Zeit die einzige Möglichkeit, DVDs abzuspielen. Weil es Open Source war, wurde es auch auf Windows portiert, aber diese Versionen kamen nicht von Studenten der ECP.

Der Client beschränkte sich auf Satellitenvideo und DVD, weil er lediglich MPEG 2 decodierte, aber es kamen neue Formate und neue Codecs aus der Community hinzu. Er wuchs und wuchs - und um 2004 konnte er so ziemlich alles abspielen. Der Name VideoLAN Client passte nicht mehr, denn das Programm war auch ein Server und Encoder. So wurde es einfach zu VLC.

Aber niemand hatte beschlossen: Ich mache jetzt einen tollen Player, der dann alles abspielt und die Welt verändert. So passiert es vielleicht im Film, aber nicht im echten Leben. Es gab also mehrere Schritte. In den Jahren zwischen 2001 und 2005 betreuten Master-Studenten der Universität das Projekt jeweils für ein Jahr, um Punkte für ihren Abschluss zu sammeln. Diese wechselnden Gruppen leiteten die Entwicklung von VLC. Aber das wurde zunehmend schwieriger, weil es einfach zu groß wurde und es zu viele Bugs gab. Man konnte das mit jährlich frisch einsteigenden Studenten einfach nicht mehr stemmen.

Wir bewegten uns also von einem reinen Studentenprojekt weg, was beinahe den Tod von VLC zur Folge gehabt hätte. Um 2007 gab es nur noch zwei Leute, die sich darum kümmerten: mich und Christophe (Christophe Mutricy - Anm. d. R.). Das funktionierte nicht, also beschloss ich, das Projekt von der Universität unabhängig einem Verein als Non-Profit-Organisation zu übergeben. Der übernahm alle Open-Source-Inhalte von der Universität und bündelte die Entwicklerinnen und Entwickler in einer neuen Gemeinschaft, die nicht an die Universität gekoppelt war. So konnten wir langfristig orientiert arbeiten.

Erst dann schafften wir es, den Kern von VLC für Version 1.0 zu erneuern. Dazu mussten eine Menge schwieriger und nervender Dinge angepackt werden, weil wir sonst nicht hätten wachsen können. 2009 hatten wir 100 Millionen Downloads mit der Version 1.0 - aber drei Jahre später waren es eine Milliarde! Da ging es wirklich los.

Golem.de: Hätte man das auch anders machen können - und viel Geld verdienen?

Kempf: Ich finde, es war die richtige Entscheidung, diesen Weg zu gehen. Das hat vielleicht mit den Werten zu tun, die mir meine Eltern mitgegeben haben. Ich meine: das Projekt gehörte ja nicht mir allein! Für mich ist es wichtig, das Richtige zu tun - mehr als alles Geld. Und das Richtige war eben, weiterzumachen und dem Projekt Raum zum Wachsen zu geben. Ab 2014 gab es noch eine Transformation von VLC: Der Verein hat immer noch die Hoheit über die Softwareentwicklung und ich bin sein Präsident, aber es gibt jetzt auch noch eine Firma, die Beratungsdienstleistungen dazu anbietet. Das ist momentan eine treibende Kraft für VLC. Es gibt ein paar Firmen, die die Technologie von VLC einsetzen und von deren Weiterentwicklungen profitiert die Community.

So können wir auch Vollzeitkräfte bezahlen und springen auf den Startup-Zug auf. Das ist nämlich in Frankreich ein spezielles Problem: Wenn man einfach einen Verein hat, dann kann man keine Förderung bekommen, keine Steuererleichterungen, nichts! Aber wenn man sich als Startup deklariert, geht das alles.

Golem.de: Was sind die rechtlichen Herausforderungen für euch?

Kempf: Es gibt viele rechtliche Probleme rund um VLC und Open-Source-Technologie und das größte ist natürlich die Patentfrage. Bis jetzt lief alles ganz gut in Frankreich und der EU, hauptsächlich deswegen, weil diese Patente hier nicht gelten. Aber es gibt Bestrebungen für ein Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung - insbesondere auch aus Deutschland. Die Deutschen sind da ziemlich hinterher und setzen sich stark für Softwarepatente ein. Damit werden sie Dinge wie VLC vermutlich irgendwann zerstören. Das ist schon ein großes Problem und wir versuchen, Geld für Gegeninitiativen zu spenden. Unsere Nutzerschaft scheint diese Schwierigkeiten noch nicht so wirklich ernst zu nehmen, daher ist es für uns wichtig, das Thema politisch voranzutreiben. Das nervt schon ziemlich und irgendwann wirst du einfach eingestampft, wenn du nichts machst.

Ich versuche die Patentidee zu sabotieren, indem ich zeige, wie dumm und irrelevant sie ist. Es ist auch ein Kampf mit der Zeit, weil die Patente nach und nach auslaufen. Die meisten medienbezogenen Patente sind Patente auf einfache Mathematik. Man nimmt einfach diese Transformation oder diese Matrix, patentiert diese Zahlen und dann darf sie niemand mehr nutzen. Das hat doch ehrlich gesagt keinen Schöpfungswert.

Golem.de: Wie seid ihr mit anderen Projekten vernetzt?

Kempf: Die VideoLAN-Community ist nicht allein. VLC hat beispielsweise ungefähr eine Million Zeilen Code, aber wir nutzen so viele Open-Source-Bibliotheken, dass wir eher über 15 Millionen Zeilen Code insgesamt reden. In VLC ist eine riesige Menge anderer Software enthalten. Eine davon ist FFmpeg, von der wir vermutlich am meisten abhängen. Aber es gibt unzählige weitere kleine Projekte, die mit uns zusammenhängen. Wir beteiligen uns an vielen, wir forken einige und betreuen andere. Für FFmpeg hosten wir beispielsweise Ressourcen. Es gibt da eine enge Zusammenarbeit. Das sieht man auch auf den VideoLAN Dev Days, die wir veranstalten. Da sind vielleicht ein Drittel der Leute von uns und die anderen kommen von Kodi, OBS, FFmpeg oder X264. Also die Community ist schon stark vernetzt, wir schaffen das nicht allein, wir hängen alle voneinander ab.

Golem.de: Wieso der Verkehrskegel als Symbol für VLC?

Kempf: Die Kegel-Geschichte ist wohl eine der meistgefragten Storys - dabei ist sie komplett uninteressant. Es gab einfach ein paar Studenten, die ein paar Bier zu viel hatten und mit Verkehrskegeln auf dem Campus auf einer Baustelle herumspielten und sie mitnahmen. Das war ein kleiner Witz und wurde immer größer. Als ich 2003 ankam, war die Sammlung auf einige Hundert angewachsen. Und das kam irgendwann in VLC an. Es ist so idiotisch, einen Verkehrskegel als Symbol für einen Mediaplayer zu benutzen - aber es ist einfach so gut sichtbar und wiedererkennbar. Die Leute kennen VLC als den Verkehrskegel-Player und nun ist es zu spät, daran etwas zu ändern.

Golem.de: Was plant ihr für die Zukunft?

Kempf: Es gibt drei große Projekte, mit denen wir uns gerade beschäftigen, bei denen wir aber noch nicht wissen, wie sie laufen werden. Dass wir die Player-Engine verbessern, ist natürlich klar. Wir wollen aber auch mehr externe Inhalte in VLC integrieren. Wir wollen die Verteilung von Inhalten dezentralisieren. Wie können wir zum Beispiel Youtube-Videos - die ja eigentlich wie Video-Podcasts sind - abspielen, und sie ohne die zentrale Plattform weiterverteilen? Das wird schon schwierig.

Die anderen beiden Projekte sind sehr technisch. Das erste ist das Thema Sicherheit. Wir wollen VLC Sandbox-fähig machen. Dadurch würden Sicherheitsprobleme im Player nicht mehr so eine Rolle spielen. Das geht mit Webbrowsern, aber wir haben da ein paar kompliziertere Beschränkungen. Aber es ist wichtig, daran zu arbeiten. Das dritte Projekt dreht sich darum, wie wir VLC im Webbrowser laufen lassen können. Also praktisch VLC im Web, das jede Art Datei abspielen kann und nicht nur die von der aktuellen Version von Chrome unterstützten. Das bereitet vielen Aktivisten und der professionellen Nutzerschaft Kopfschmerzen. Das sind drei Projekte, an denen wir gerade arbeiten - vielleicht dieses Jahr, vielleicht im nächsten Jahr, wir werden sehen.

Was danach kommt? Ich hatte mal eine Kristallkugel, aber die ist mir kaputtgegangen. Also kann ich wirklich nicht in die Zukunft sehen. Ich mag nicht, dass wir gerade in eine Richtung gehen, wo ein paar Plattformen alles beherrschen. Selbst wenn das kein Monopol ist, sind es doch nur drei oder vier Firmen. Die Macht wandert von den Kreativen zu den Aggregatoren, das ist nicht cool. Andererseits haben die Kreativen und die Distributoren ihre Macht zu lang mit dem Copyright-Wahnsinn ausgenutzt. Ich denke, wir bewegen uns weg von etwas mit Schwierigkeiten und Problemen, das wir kannten zu etwas Neuem, das wir noch nicht kennen. Aber die Technologie entwickelt sich weiter, es wird mehr offene Codecs wie AV1 oder Opus für Audio geben. Daher könnte die Patentfrage weniger wichtig werden - was ich hoffe. Zumindest werde ich dafür kämpfen. Aus technischer Sicht: Wir werden immer Leute haben, die gern Code schreiben und Assembler sehen wollen, oder?

Golem.de: Vielen Dank für das Gespräch!

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