Eigentlich sollte »Halo Infinite« längst auf dem Markt sein. Erscheinen sollte es bereits vor rund einem Jahr, zum Release der neuen Xbox-Modelle Series X und Series S. Doch dann passierte dem Blockbuster, was derzeit vielen Videospielen zum Schicksal wird: Er wurde verschoben. Es sei »weder mit dem Wohlbefinden unseres Teams, noch mit dem Erfolg des Spiels« vereinbar, das neue »Halo« zum Weihnachtsgeschäft 2020 zu veröffentlichen, erklärte dazu Chris Lee, der Leiter des zuständigen Studios 343 Industries.
2020 war noch das große Jahr der Videospiele. Alle Zahlen deuteten nach oben: mehr Spieler und Spielerinnen, mehr Interaktionen, für viele Studios mehr Einnahmen. Durch Lockdowns und Shutdowns blieben viele Menschen zu Hause und fanden etwa in Online-Games eine Möglichkeit, mit anderen in Kontakt zu bleiben oder sich einfach nur die Zeit zu vertreiben.
2021 hingegen ist das Jahr der verschobenen Spiele. Nicht nur »Halo Infinite« erscheint mit ordentlich Verspätung. Auch andere Blockbuster-Games wie »Horizon: Forbidden West«, »God of War: Ragnarök« oder »Battlefield 2042« lassen oder ließen die Fans länger warten als erhofft. Liegt das alles an der Coronakrise?
Am Ende ein rundes Spiel
So leicht ist es nicht, erfährt man von Joseph Staten, dem Head of Creative bei 343 Industries. »Corona war nicht der alleinige Grund, aus dem wir ›Halo Infinite‹ verschieben mussten«, sagt er. Die Krise allerdings habe »vorhandene Komplikationen in der Entwicklung noch verschärft«. In die Länge gezogen worden sei die Entwicklung des Spiels vor allem durch dessen Open World mit ihren spielmechanischen Besonderheiten, erklärt Staten.
Das größte Problem war also nicht das pandemiebedingte räumlich getrennte Arbeiten. Jene Einschränkung aber machte es 343 Industrie auch nicht leichter, das Problem zu lösen.
Spielt man dieser Tage die Kampagne von »Halo Infinite«, zeigt sich immerhin: Das Warten, das Nachbessern hat sich gelohnt. Das neue »Halo« bietet viele verschiedene Waffen und ein Gunplay, das sich äußerst präzise und haptisch anfühlt. Interessante Gadgets wie ein Greifhaken, mit dem Spieler etwa Gegner heranziehen oder sich selbst flink durchs Terrain bewegen können, lockern das Spielgeschehen auf.
Und ja, die neueste Geschichte um den Master Chief, Cortana und die immer wiederkehrende Weltenrettung mag mitunter aufgesetzt wirken: Aber in einem Shooter nehmen viele die Story wohl sowieso nur mit einem Schulterzucken wahr. Am Ende mehrerer Verschiebungen steht ein rund wirkendes Spiel.
Die Spielwelt in »Halo Infinite« ist deutlich größer als bei den Vorgängern
Foto: Xbox Games StudiosNicht alles geht aus der Ferne
Grundsätzlich sind Videospiele unfassbar komplexe Produktionen. In unterschiedlichen Gewerken – Game Design, Programmierung, Quality Assurance, Marketing und mehr – arbeiten mitunter Hunderte Menschen auf den geplanten Veröffentlichungstag hin. Dieser ist oft Jahre im Voraus gesetzt. Er hängt von verkaufsstarken Jahreszeiten ab, von den Plänen der Konkurrenz, von den Erwartungen der Anleger.
Einen geplanten Release-Termin zu verschieben, ist oft das absolut letzte Mittel. Auch das ist ein Grund für die Crunch-Probleme der Branche, dafür, dass sich viele Entwicklerinnen und Entwickler immer wieder zu Überstunden bemüßigt sehen.
Die Pandemie hat die Situation in vielen Spielestudios noch verkompliziert. Remote Work ist nicht für alle Abteilungen einfach umzusetzen. »Halo Infinite« etwa setzt auf Motion Capturing, für das Schauspieler vor Ort verkabelt werden müssen. Und auch fürs Voice Acting müssen etliche Monologe und Dialoge eingesprochen und ins Spiel implementiert werden. Für große Open Worlds, wie im Fall von »Far Cry 6«, werden sogar echte Landschaften gescannt und dann im Spiel modelliert.
Bis zum Schluss bleibt es schwierig
Aus all solchen Bemühungen ergibt sich ein Entwicklungsprozess, in dem bis zuletzt Komplikationen drohen, etwa durch kurzfristige Veränderungen am Gameplay – die dann etliche Bugs nach sich ziehen können.
Solche Fehler wiederum ließen sich früher mitunter unkomplizierter lösen. Vor der Pandemie, als Entwicklerinnen und Entwickler noch mal eben zum Tisch nebenan laufen konnten und noch nicht fast ausschließlich digital kommunizierten.
Manche Firmen kommen mit der derzeitigen Arbeitsrealität besser klar als andere. »Wir arbeiten schon seit zehn Jahren auch remote«, sagt etwa Kirk Lenke, der Chef von Nukklear, einem Studio mit Sitz in Hannover, das zusammen mit dem norwegischen Studio Funcom an einem Open-World-Spiel im »Dune«-Universum arbeitet. Durch die Erfahrung mit Remote Work sei die Umstellung wegen Corona in seinem Studio nicht allzu groß gewesen – zumindest technisch und strukturell nicht.
Der Faktor Mensch
Gerade die Anfänge einer Videospielproduktion sind normalerweise sehr intensiv. Sogenannte Concept-Art wird kreiert, Gameplay-Mechaniken werden ausgetüftelt, es wird an Prototypen gearbeitet. Üblich ist, dass in dieser Phase viele Menschen in einem Raum sitzen und ihrer Kreativität freien Lauf lassen.
»Es gibt nichts, was du nicht auch digital machen kannst«, sagt Kirk Lenke und meint damit digitale Whiteboards, Videoschalten oder Screensharing. Doch auch Nukklear habe durch die Pandemie Einschränkungen erlebt, sagt er. So konnte oder wollte sich das Studio zum Beispiel keine neuen Server zulegen, da deren Preis durch die weltweite Chipknappheit in die Höhe geschnellt war.
Viele Spielestudios hätten ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schon seit Langem das digitale Arbeiten ermöglicht, erzählt Lenke. »Aber früher waren Leute im Urlaub, sind essen gegangen, haben ein Kino besucht. Der Ausgleich fehlt heute.« Und auch in seinem Studio hätten Angestellte mit Homeschooling und anderen Herausforderungen zu kämpfen gehabt.
So sind es letztlich nicht nur Einschränkungen bei der Produktion, die dafür sorgen, dass manches Spiel momentan später auf den Markt kommt als erwartet. Es liegt auch daran, dass es eben Menschen sind, die Spiele entwickeln: Menschen, für die die Coronakrise im Alltag genauso belastend ist wie für alle anderen.
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