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Car-IT Software: „OEMs haben noch 80 Prozent des Weges vor sich“

Immer mehr Hersteller wollen ihre Software-Kompetenz ausbauen. Wie erfolgreich sie dabei sind, und welche Folgen das für die Wertschöpfungskette hat, diskutierte ein Kreis von Experten auf Initiative von »Automobil Industrie«.

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„Die Infrastruktur sowie die Schnittstelle zum Fahrzeug werden zu wenig als Gesamtsystem betrachtet“, sagt Michael Neisen, Vorsitzender Geschäftsführer der ASAP-Gruppe.
„Die Infrastruktur sowie die Schnittstelle zum Fahrzeug werden zu wenig als Gesamtsystem betrachtet“, sagt Michael Neisen, Vorsitzender Geschäftsführer der ASAP-Gruppe.

(Bild: ASAP)

Ist oder wird das Thema Software die neue Kernkompetenz in der deutschen Automobilindustrie?

Stefan Butz: Es wird eine Kernkompetenz der deutschen Automobilindustrie – aber nicht die ausschließliche. Die Kernkompetenz der OEMs ist und bleibt die Systemintegration, also die Fähigkeit, verschiedene Technologien miteinander zu verbinden. Im Bereich Software müssen wir Strukturen aufstellen, mit denen wir Software entwickeln können. Wir müssen noch mehr die konzeptionelle Fähigkeit erreichen, eine Software im System zu bewerten und dort Prozesse und Abläufe zu etablieren.

Lutz Eckstein: Ich würde sogar behaupten, dass Software schon lange eine gewaltige Rolle im Automobil spielt. Schon 2004, als ich im Bereich aktive Sicherheit bei Daimler aktiv war, hatte ein Fahrzeug der Oberklasse fast 100 Steuergeräte und viele Millionen Lines of Code. Die Art und Weise, wie Software erstellt wird und wie sie strukturiert wird, also in welcher Architektur sie abgebildet wird, muss sich drastisch ändern. Wir kommen aus einer Welt eines stark verteilten Systems, geprägt davon, wie Zulieferer und OEMs miteinander arbeiten. Bislang beziehen Hersteller zum Großteil Blackboxes von unterschiedlichen Lieferanten. Tesla ist ein Vorreiter, der die Prinzipien der IT auf seine Entwicklung übertragen hat und die Software eigenständig updaten kann.

Daniel Lueddecke: Es ist nicht die Frage ob, sondern ab wann Software als Kernkompetenz gesehen wird. Alle müssen verstehen, dass Software ein sehr komplexes Konstrukt ist, und dass es nicht reicht, ein grobes Verständnis davon zu haben. In der Praxis sind es weniger technische Herausforderungen, die Probleme bereiten. Es sind die Dinge darum herum, wie Arbeitsmodelle und die Kompetenzen, die man braucht.

Wir bewerten künftige Architekturen nach der Maßgabe, ob sie kooperations- und gleichzeitig wettbewerbsfähig sind.

Stefan Butz, BMW

Hat Tesla bei der Software wirklich einen großen Vorsprung?

Michael Neisen: Was wir im Model S von Tesla finden, hat nach zehn Jahren noch kein anderer Hersteller erreicht. Die Einfachheit und Schnelligkeit dieser vernetzten Systeme und der Updates over the air zu erreichen, ist eine andere Welt. Die alten Strukturen und Abläufe aus der Fahrzeugentwicklung müssen vollkommen aufgebrochen werden und neue Organisationsformen zum Einsatz kommen.

Butz: Tesla konnte mit einem Greenfield-Ansatz starten. Die Entwickler mussten sich nicht um Unmengen alter und inkompatibler Steuergeräte Gedanken machen. Letztendlich muss man entscheiden: Nimmt man irgendwann einen harten Bruch im System vor, um in der Konsequenz dann die Entwicklungsmannschaft spalten oder verdoppeln zu müssen? Verdoppeln, weil ich in einer Übergangsphase noch die alte Technologie beherrschen und gleichzeitig den Wechsel zum komplett neuen System vornehmen muss. Insgesamt ist es also eher eine Geschäfts- denn eine Kompetenzentscheidung.

Aber die Software geht ja über das Fahrzeug hinaus. Wie ist die deutsche Automobilindustrie hier aufgestellt?

Eckstein: Wir werden nicht mehr nur Software im, sondern mindestens so viel Software außerhalb des Autos haben, um Upgrades produzieren zu können. Dafür braucht es eine kompatible Architektur außerhalb des Fahrzeugs, denn das Lernen findet im Backend satt, nicht im Fahrzeug. Upgrades sind insbesondere beim automatisierten Fahren zwingend notwendig. Darauf hatte die etablierte Automobilindustrie bisher zu wenig Augenmerk gelegt.

Warum tut man sich damit so schwer?

Neisen: Im Gegensatz zu einigen anderen Ländern fehlt uns in Deutschland eine klare Vorgabe und damit verbunden ein Standard für die Infrastruktur sowie die Schnittstelle zum Fahrzeug. Beide werden zu wenig als Gesamtsystem betrachtet. Zu viele unterschiedliche Systeme verschiedenster Hersteller, sowohl auf Infrastruktur- als auch Fahrzeugseite, müssen fehlerfrei abgestimmt werden. Wenn an dieser Stelle keine gemeinsame Festlegung erfolgt, werden die gesetzten Ziele schwer erreicht und Probleme auf den Nutzer verlagert.

Eckstein: Tesla geht hier andere Wege. Die spielen das Henne-Ei-Prinzip hierzulande nicht mit. Der Hersteller hat seine Fahrzeuge wie ein vernetztes IT-System betrachtet. Dessen Connectivity ist zunächst daraufhin entwickelt worden, den Batteriezustand zu überwachen. Dagegen ist der Anspruch vieler OEMs hierzulande, dass Fahrzeuge unabhängig von einer Infrastruktur funktionieren. Doch mit diesem Ansatz kommt man an Grenzen und wird angreifbar. Denn es gibt Player, die Infrastruktur und Fahrzeug als ein System denken. Gerade beim fahrerlosen Fahren in der Stadt erwarte ich einen spannenden Wettbewerb.

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Wie weit ist die Branche von einem ganzheitlichen Ansatz entfernt? Oder braucht es weiter eine arbeitsteilige Welt?

Butz: Die Automobilindustrie hatte immer eine kompetitive Kultur. Deshalb ist ein Standardisierungsversuch zwischen den OEMs bisher gescheitert. Eine Standardisierung wird auch nicht das Ergebnis von Kooperationsbestrebungen sein. Es werden aber Ökosysteme entstehen. Natürlich gibt es Anbieter wie Tesla, die ihre Software komplett selbst entwickelt haben und sogar eine eigene Ladeinfrastruktur vorhalten. Wendet man aber die Grundlagen der Betriebswirtschaft an, dann wird die beste Lösung die mit der größten Engineering-Power sein. Meiner Meinung nach wird Tesla irgendwann nicht mehr die gleiche Stärke abbilden können, wie es eine horizontale Wertschöpfungskette ermöglicht.

Eckstein: Der Schlüssel ist, dass die Kernfunktionalität der Architektur – die das Produkt ausmacht – in der Hand des OEM ist. Man muss aber auch der Entwicklungs-Power externer Unternehmen Raum geben. Ein Beispiel ist der Innenraum: Dort kann vieles von Lieferanten kommen. Auch bei Tesla wird man irgendwann davon Abstand nehmen, alles selbst zu machen. Verfügt man über eine saubere Architektur, kann man auch Dienste und Softwarekomponenten von Externen beziehen – quasi als App.

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Beim ID 3 hat Volkswagen insbesondere bei der Software Anlaufprobleme.

Kann die Industrie überhaupt in der notwendigen Geschwindigkeit Standards, Kooperationen etc. umsetzen, um Greenfield-Ansätzen wie Tesla zu begegnen?

Butz: Ja. Aber nicht auf den alten proprietären Plattformen. Wir bewerten künftige Architekturen nach der Maßgabe, ob sie kooperations- und gleichzeitig wettbewerbsfähig sind. Kann ich hier also in jeder Softwareschicht unter verschiedenen Wettbewerbern und deren Lösungen auswählen? Sind die Schnittstellen so genau beschrieben, dass sie hinreichend entkoppelt sind? Und welche Softwareschicht muss ich als OEM selbst besetzen? Der mit dem kürzesten Innovationszyklus wird gewinnen.

Lueddecke: Es ist heute relativ schwierig, Lieferanten zu ersetzen, da wir in der Architektur keine standardisierten Schnittstellen haben. Die Offenheit muss gefördert werden. Gleichzeitig gibt es zwei Richtungen: Der OEM will beim Thema Software immer mehr selbst machen und könnte so die Zulieferer aus dem Markt drängen. Währenddessen drücken die Zulieferer von unten. Hier Offenheit ins Gesamtsystem hineinzubekommen, ist herausfordernd.

Wie gut kommt die Industrie auf dem Weg zu mehr Softwarekompetenz voran? Ist der Weg von Volkswagen mit der unabhängigen Organisationseinheit richtig?

Lueddecke: Wenn ich es quantifizieren müsste, würde ich nüchtern sagen: Die Industrie hat noch etwa 80 Prozent des Weges vor sich. Meiner Ansicht nach fehlt noch das tiefe Bewusstsein dafür, was es braucht und wohin man sich entwickeln muss, um zu einer gestärkten Kernkompetenz Software zu kommen. Das fängt damit an, dass man verstehen muss, was sich im Produkt verändert, wenn es Software-definiert ist, und was das über den Entstehungsprozess aussagt. Software wird nicht über Lastenhefte beschrieben und über den bisher bekannten Zeitverlauf entwickelt und getestet. Genau diese Veränderung in den konventionellen Organisationseinheiten durchzuführen, ist sehr anspruchsvoll. Der Weg von Volkswagen ist eine Art organisatorisches Greenfield. Aber natürlich muss ein Unternehmen immer erst klären, ob die Rahmenbedingungen solch einen Schritt überhaupt zulassen. Auch die Volkswagen AG hat Richtlinien, wie Tochterunternehmen aufzubauen und zu führen sind. Und hier ist die Frage, ob man den Gürtel weit genug bekommt, um annähernd agil als neues Unternehmen innerhalb einer Gruppe arbeiten zu können.

Sind die Tier-1 hier schon weiter?

Lueddecke: Am Ende stehen sie vor den selben Herausforderungen. Auch sie sind groß und haben gut etablierte Arbeitsprozesse. Aber der Druck ist dort ein anderer. Die Tier-1-Supplier haben deutlich früher verstanden, dass sie etwas ändern müssen, um wettbewerbsfähig bleiben zu können.

Neisen: Der Impuls kommt am Ende des Tages von den OEMs. Der Systemlieferant muss das Vorgehen adaptieren. Wenn die Hersteller ihre jeweilige Plattform umsetzen, müssen sich die Lieferanten daran orientieren und die Systemschnittstellen bedienen.

Lueddecke: Allerdings ist unklar, ob die OEMs überhaupt die Kompetenz haben, ein eigenes Operating System, also Betriebssystem, zu definieren und zu entwickeln. Nach meiner Wahrnehmung verlässt sich der OEM am Ende des Tages auf den Zulieferer und wünscht sich, gemeinsam ein OS zu entwickeln.

Herr Butz, hat BMW die Kompetenz, ein eigenes OS zu entwickeln?

Butz: Wir haben eine andere Vorgehensweise. In meiner Zeit bei Intel habe ich in der Partnerschaft mit Microsoft gesehen, wie schwierig es ist, ein OS als Basis für ein Ökosystem zu schaffen. Dies ist keine rein technische Herausforderung, sondern sehr stark eine Frage, wann eine Entwickler-Community ein OS, beziehungsweise eine Plattform nutzt. Wir haben nicht die Ambition, ein eigenes OS zu entwickeln, auf dem eine große, unabhängige Entwickler-Community Innovation generiert. Man kann aus den Erfahrungen lernen, die zum Beispiel Microsoft und Intel, aber auch andere mit vergleichbaren Fragestellungen im Mobilfunkbereich gemacht haben. Selbst Volkswagen ist nicht groß genug, um diese Mammutaufgabe alleine zu bewältigen. Und bisher war die Automobilindustrie nicht ausreichend kooperationsfähig, um eine gemeinsame Basis zu legen. Zeitpläne, technische Voraussetzungen und inhaltliche Prioritäten divergieren. Nicht zu vergessen ist die Compliance-Konformität. Das heißt, es wird irgendwo eine Alternative genutzt werden. Ob das ultimativ Android sein wird, kann ich nicht sagen. Die Fähigkeit des OEMs muss sein, schnell auf das wettbewerbsfähigste System springen zu können. Das ist eine Form von Agilität oder besser Adaptivität. Die Ambition ist, sich auf das Niveau von Apple und Google zu heben. Das gelingt nur mit Partnern. Wenn ein überlegenes Ökosystem zur Verfügung steht, muss man flexibel genug sein, um zu switchen beziehungsweise dieses zu integrieren.

(ID:46583019)




July 10, 2020 at 11:51AM
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