Das Achtelfinalspiel der EM 2024 zwischen Deutschland und Dänemark stellte sich als eine Achterbahnfahrt für die DFB-Elf heraus. Weil Deutschland die Spielkontrolle aus der Gruppenphase vermissen ließ, sah sich Nagelsmann zu taktischen Anpassungen im Laufe der Partie gezwungen. Dennoch ging am Ende ein Teil des Matchplans gegen Dänemarks Pressing voll auf.
Welcher taktische Kniff am Ende für die deutschen Tore sorgte und weshalb die Anpassungen wohl keine dauerhaften Lösungen darstellen, erfährst du in der folgenden Analyse zum Spiel.
Zum ersten Mal in diesem EM-Turnier veränderte Nagelsmann die Startelf. Während Schlotterbeck, der sich als Waffe bei Standardsituationen herausstellte und einen irregulären 1:0-Führungstreffer erzielte, für den gesperrten Tah in die Abwehrkette der DFB-Elf rückte, entschied sich Nagelsmann statt Mittelstädt und Wirtz für Sané im Angriff und Raum als Linksverteidiger.
Hauptakteur in deutschen Ballbesitzphasen im ersten Durchgang war Sechser Andrich, der vom dänischen 5-2-3-Defensivblock viel Raum geboten bekam. Die vordere Reihe der Dänen setzten den deutschen Dreieraufbau um Kroos, Schlotterbeck und Rüdiger unter Druck. Die Doppelsechs dahinter war jedoch darauf besinnt, den Raum vor ihrer Abwehrkette zu schützen, sodass Andrich häufig ohne direkten Gegenspieler das Spiel gestalten konnte.
Durch Verlagerungen über den Sechser war Deutschland in der Lage, auf dem Feld vorzurücken, und Dänemark vor ihr eigenes Tor zu drängen. In dieser Phase waren Dänemarks Angreifer ebenfalls gezwungen zu verteidigen, sodass sie nur für wenig Kontergefahr sorgen konnten, während sich die deutschen Verteidiger hinter dem Ball in der Restverteidigung direkt zuordnen konnten.
EM 2024: DFB-Team fällt in alte Muster zurück
Verlagerungen von Andrich wie in der 3. Minute (siehe Abb. 1), der nach Eckball der irreguläre Kopfballtreffer folgte, blieben ab der 20. Spielminute jedoch eine Rarität. In Ballbesitz ließ das deutsche Team phasenweise die gewohnte Spielkontrolle vermissen und fiel gar in alt bekannte Muster zurück, bei denen Ballverluste im Mittelfeld für gefährliche dänische Konterangriffe sorgten.
Einige Spielsituationen erinnerten dabei an vergangene Turniere der deutschen Nationalmannschaft, in denen man gnadenlos ausgekontert wurde. Zu selten blieb die DFB-Elf geduldig am Ball, zu häufig wurde versucht, durch Pässe in das kompakte Zentrum ein Angriff zu erzwingen. Diese Momente nutzte Dänemark für gefährliche Konter und mehr Spielkontrolle.
Vielmehr konnte Dänemark auch im Spiel mit Ball kurzfristig die Überhand gewinnen. Nach anfänglich kontrollierter Partie der deutschen Mannschaft erhöhten sich zunehmend defensive Probleme gegen die dänischen Angriffe. Beim Verteidigen fehlte der DFB-Elf immer wieder der Zugriff. Während sie mit ihren Flügelspielern versuchten, die dänischen Halbverteidiger zu pressen, musste die deutsche Viererkette weit durchschieben, um am Flügel Druck auf den Ball zu bekommen.
Dann kam es nicht selten zu der Situation, dass Dänemark hinter die Außenverteidiger spielen konnte. Mit tiefen Laufwegen in diese Räume zog es vor allem Deutschlands defensive Mittelfeldspieler immer wieder in die Kette, was den Raum davor öffnete und Verlagerungen ermöglichte (siehe Abb. 3). Eine defensive Problemstelle, welche bereits in der Gruppenphase in Erscheinung trat.
EM 2024: Nagelsmann stellt während Spielunterbrechung um
Die Gewitterpause kam dem Team von Julian Nagelsmann daher durchaus entgegen. Kurzerhand passte der Nationaltrainer das Defensivsystem an und schob mit Andrich einen weiteren Spieler zentral in die Abwehrkette. Die deutschen Flügelspieler agierten gegen den Ball enger und schlossen zuerst das Zentrum.
So entstand aus dem 4-4-2 ein 5-3-2-System, mit dem die DFB-Elf wesentlich besser zum Verteidigen am Flügel durchschieben konnte. Auch im Zentrum wurde der Zugriff auf die dänischen Spieler erleichtert. Denn Andrich verteidigte direkt gegen den dänischen Stürmer, was Schlotterbeck und Rüdiger ermöglichte, auch immer wieder aus der Kette herauszutreten.
Eine logische Anpassung, die jedoch weiterhin eine Schwachstelle bot, nämlich Verlagerungen auf die andere Spielfeldseite. Defensive Abläufe, die etwas unrund wirkten, sorgten dafür, dass Dänemark auch weiterhin gelegentlich bis zum deutschen Strafraum gelangen konnte. Mit Musiala und Sané auf den Halbpositionen im Mittelfeld bot man nicht die prädestinierten Mittelfeldspieler für ein 5-3-2 auf.
Ein Faktor, der Deutschland zwar letztendlich nicht zum Verhängnis wurde, wahrscheinlich aber nicht die zukünftige Ideallösung sein wird. Einen Titel mit solch offensiven Mittelfeldspielern in einem 5-3-2 zu holen, wirkt fast noch abwegiger als eine Weltmeisterschaft mit vier Innenverteidigern zu gewinnen.
DFB-Team entzieht sich gekonnt Dänemark-Pressing
Trotz dieser unkonventionellen Lösung brachte dies jedoch auch eine Stärke mit sich. Nach Ballgewinnen konnte die DFB-Elf in schnellem Tempo auch aus dem Mittelfeld das Konterspiel nach vorne tragen. Und in Ballbesitz war das deutsche Team in der Lage, gegen das mannorientierte Pressing von Dänemark schnell in die Tiefe zu gelangen. Ein Element, welches gegen die Schweiz phasenweise fehlte und im Achtelfinale den deutschen Sieg über Dänemark einleitete.
Weil die Halbverteidiger immer wieder auf die deutschen Flügelspieler durchschieben mussten, ließen sich Eins-gegen-Eins-Laufduelle gegen diese herstellen. Konnte Deutschland den Geschwindigkeitsvorteil dabei ausnutzen, bot dies eine einfache Möglichkeit, das dänische Pressing zu überspielen.
Spätestens mit dem 2:0-Treffer durch Musiala machte sich die Entscheidung, die Offensivspieler auf dem Feld zu lassen, bezahlt. Bereits im Vorfeld der Partie kündigte Nagelsmann an, die zwar robusten, aber weniger beweglichen dänischen Verteidiger mit viel tiefen Bewegungen bezwingen zu wollen. So sorgte dann auch ein tiefer Laufweg von Musiala gegen Vestergaard, der diesem zuerst folgte, ihn beim Richtungswechsel jedoch verlor, für den zweiten deutschen Treffer der Partie.
Auch beim 2:0-Erfolg gegen Dänemark zeigte sich abermals, dass sich die deutschen Gegner auf die Spielweise der DFB-Elf einstellen. Während die Lösungen mit Ball gegen die mannorientierten Dänen insbesondere in der zweiten Halbzeit vielversprechend aussahen, bleibt defensiv weiter ein gewisses Restrisiko bei der aktuellen Herangehensweise.
Ob die taktischen Anpassungen gegen Dänemark mehr die Suche nach dem idealen System, oder einfach an den Gegner angepasste Schachzüge zum Erfolg sind, wird sich aller Voraussicht nach im Viertelfinale herauskristallisieren.
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